Musikkreis München-Neuhausen-Nymphenburg


Einführung in den Musikkreis-Abend „Musicals“
am 27. April 2008
in München


„Musicals - mehr als Show und purer Kommerz ?“


„Blick hinter den Vorhang und hinter die Kulissen mit Sonja Welter"

 

In den letzten Jahren

  • haben wir u. a. erlebt, welche Stimmungen bei einem Minimal-Music-Konzert auf der Orgel entstehen können

  • haben wir zwei Gitarre-Professoren über die virtuose Schulter geschaut

  • haben wir die Spur verfolgt, die zu dem „Missverständnis“ der Entstehung der Oper führte

  • haben wir eine Geschichte der Orgelmusik „von Schütz bis Schütz“ auf einer kleinen Kirchenorgel gehört

  • haben wir in einem Wohnzimmer hier in der Nähe darüber diskutiert, ob es eigentlich notwendig war, die Musik nach der Wiener Klassik noch weiter zu entwickeln

  • haben wir in einem Wohnzimmer in Olching gelernt, welche Kriterien die GEMA anlegt, wenn sie junge Komponisten für mehr als eine Eintagsfliege hält und langfristig mit Krediten fördert

Diesmal hat uns die Frage getrieben: „Musicals - was steckt dahinter?“

 

„Mensch, da is was los auf der Bühne! Da gibt’s nicht nur was auf die Ohren - auch auf die Augen!“ So oder ähnlich hört sich oft der erste Definitionsentwurf an, wenn ich meine Freunde nach „Musicals“ frage. Alle sind sich einig, dass Musicals immer etwas mit Bühne und mit Show zu tun haben.

 

Aber manche entgegnen: „Ist das nicht hoffnungslos übertrieben, für eine flache Handlung mit Musik aus der Konserve eigene Hallen aus dem Boden zu stampfen und Massentourismus zu organisieren?“

 

In der vorigen Woche (17. April 2008) schloss die Bayerische Theaterakademie August Everding ihren diesjährigen Abschlussjahrgang im Ausbildungszweig Musical mit einer ganz besonderen Produktion nach „Songs For a New World“ von Jason Robert Brown mit dem Titel „Kopfstimme“. Jason Robert Brown, geboren 1970, von dem ich noch nie etwas gehört hatte, gilt als einer der produktivsten Musical-Komponisten und Arrangeure der Gegenwart. Seine Klavierpartituren und Song-Arrangements sind (vor allem) rhythmisch äußerst anspruchsvoll und verlangen vom Interpreten (Instrument und Sänger) großes technisches Können. Aber als er noch Musik studierte, an der Eastman School of Music in Rochester, so erzählte uns die Einführerin in das Stück, soll ihm sein Kompositions-Professor gesagt haben: „Wenn Sie ein Musical komponieren wollen, sperren Sie sich einen Nachmittag in ihr Zimmer und komponieren ein Musical.“ Jason Robert Brown verließ die Musikakademie vorzeitig und wurde mit seinen Musical-Kompositionen berühmt.

 

Manche meiner Freunde setzen dann noch eins drauf: „Warum nicht?
Es gibt genug Musik ohne Theater, kontemplative Musik, die man sich in Ruhe oder allein anhören kann. Das heißt ja nicht, dass dort, wo was los ist, die Musik schlechter oder unernster ist.“

 

Wir meinen, es gibt vor allem drei Kriterien, die „intuitiv“ ansprechende Musik ausmachen. Eine davon muss mindestens zufrieden stellend getroffen werden, damit Musik eine gute Chance hat, uns spontan zu „gefallen“: Melodik, Harmonik, Rhythmik. Dazu kommen bei einem Musical – in guter Verheiratung mit der Musik - die Handlung und das, was sich auf der Bühne tut, die Show.

 

Das erste Musical, „Show Boat“, als erstes ein „Gesamtkunstwerk Musical“ mit Handlung und Show, entstand 1927 mit den Liedern von Jerome Kern und den Liedtexten von Oscar Hammerstein. Es wurde ein großer Erfolg. Und 1951 auch ein großer Film-Erfolg.

 

Es war anders als seine Vorgänger:

  • die Minstrel Show („zusammenhangloses Show-Programm … mit schwarz angemalten und verkleideten Weißen“),

  • das Vaudeville („volkstümliches Singspiel … und auf Massenwirksamkeit ausgerichtetes Unterhaltungstheater“),

  • die aus Europa in Amerika eingeführte Operetta,

  • das Varieté („mit Elementen des Zirkus“) und

  • die Revue („mit ihren üppig ausgestatteten Musik- und Ballett-Darbietungen“).

Zum ersten Mal wurde so viel Geld in ein Musiktheaterstück investiert, in großem Stil, um es in alle Richtungen und auf möglichst vielen Medien-Kanälen zu vermarkten. Dazu taugte nicht jeder Stoff. „Show Boat“ hatte genug von jedem der drei wichtigen Musical-Kriterien: Gesang, Tanz und Drama. Es hatte eine richtige Handlung und genug Rollen, um einen, wenn auch zunächst recht kleinen Starkult zu entfachen.

 

Mit „Show Boat“ setzte ein breiter Strom von Produktionen ein, die zunächst fast ausnahmslos in den USA geboren wurden. Mit „My Fair Lady“ (1956 auf der Bühne und 1964 als Film) bildete sich eine unübersehbare europäische Linie heraus. Das Londoner West End machte New York den Namen „Musical-Metropole“ streitig. Richard O’Brien’s „The Rocky Horror Show“ (eine Parodie auf die Horror- und Science-Fiction-Filme der 50er-Jahre) und Andrew Lloyd Webber’s Musicals „Cats“, „Starlight Express“ und „Das Phantom der Oper“ hatten ihre Uraufführungen in London. „Aber auch in Deutschland lösten“ gerade Webbers Musicals „einen regelrechten Musicalboom aus“.

 

Der Prozess der Entstehung, Auswahl, Realisierung und Vermarktung verläuft bei einem Musical unbestritten anders als bei Oper oder Operette: Der Produzent macht alles und trägt die alleinige Verantwortung und das volle Risiko. Wenn er nicht der Hauptinvestor ist, so ist er vom Hauptinvestor direkt abhängig, Er ist nicht selten auch der Regisseur der Produktion. Und „er hat wesentliches Mitspracherecht bei allen künstlerischen Fragen“.

 

Ein Investor muss sich vor der Lancierung eines Musical-Projektes fragen: Ist die Musik leicht eingängig? Werden die Leute „Gassenhauer“ daraus ableiten können (wollen)? Gibt es einen Regisseur, der mir daraus ein Musical macht, das möglichst viele Leute sehen wollen? Gibt der Stoff genug Show-Effekte her?

 

„Naja“, wendet unser vom vorletzten Musikkreis-Abend bekannte Opernhistoriker hier ein: „In der Geschichte der Oper galt schon im 17. Jahrhundert, dass neben der Qualität der Musik das Show-Element eine ganz wichtige Rolle spielte und die Bühnenaufbauten und ein gewisser Aktionismus (um nicht zu sagen „the action“) und spannende, dramatische Szenen, die sich ’rum sprachen. Schon aus der Oper und später ebenso aus den Operetten, sind so genannte Gassenhauer entstanden, Schlager, die jeder nachsingen konnte. Wo ist der Unterschied zwischen Oper und Operette einerseits und dem Genre Musical andererseits?“

 

Sicherlich nicht zuletzt in der leichteren Zugänglichkeit der Musik und in dem anders gestalteten musikalischen Apparat (kein sinfonisches Orchester und keine „schwere“ sinfonische Musik) und im niedrigeren Altersdurchschnitt der Zuschauer/Zuhörer, die von der leichteren Musik kommen und anders angesprochen werden wollen.

 

Aber wenn aus dem Musical ein Erlebnis werden soll, so bestimmen abermals die Investoren diesen Unterschied. Sie wollen noch mehr Spektakel auf der Bühne. Sie wollen andere Schauspieler, solche, die ein stärkeres Rollenspiel „hinlegen“, mehr tanzen, showmäßiger singen. Dafür spielt die Qualität der Stimme keine so entscheidende Rolle. Sie lässt sich mit einem neben der Wange festgemachten Mikrophon und einem guten Sound-Engineering wirksamer unterstützen. Die Voll-Instrumentierung kommt immer mehr aus der Mode. Nur noch einige wenige Instrumente spielen live, der Rest, die ganze Power, kommt immer öfter aus der Dose. Dem richtigen Musical-Publikum ist das egal. Dem ist oft die Reise an den attraktiven Aufführungsort, das Erlebnis des speziell für dieses Stück konzipierten und gebauten Musical-Hauses mit seinem ganzen „Apres Ski“, die spektakulären Bühnenaufbauten, das Star-Erlebnis, usw. wichtiger als das Studium alter oder neuer Harmonielehre im Nationaltheater.

 

Besonderes Interesse verdienen Musikwerke, die genug „aushalten“, um von beiden „Genres“ erfolgreich reklamiert zu werden: „Porgy and Bess“ z. B., 1935 von George und Ira Gershwin als Folk Opera konzipiert, können Sie heute auch als Musical genießen. George Gershwin’s verminderte Sexten entfalten in jeder Art der Darbietung, auch in der Film-Version von 1959, ihre besondere Wirkung auf die Zuseher und -hörer. „Summertime“ kann man sowohl mit Opern-Timbre und Vibrato singen und begleiten als auch mit rauchig-sandiger Jazz-Stimme interpretieren.

 

Heute wollen wir mit Sonja Welters Hilfe einmal einen Abend lang hinter die Kulissen von Show und Kommerz blicken: Was ist es, das an Musicals so viel Spaß macht?

 

Zitate aus: Arnold Werner-Jensen, Franz Josef Ratte, Manfred Ernst: Das Reclam Buch der Musik. Philipp-Reclam-Verlag, Stuttgart 2001

 

Für alle, die sie noch nicht kennen - wer ist Sonja Welter?

 

Wie in der Musikbranche üblich, verraten wir ihr Geburtsjahr nicht. Die Agenturen haben sie beschrieben mit einem Spielalter für Rollen von 18 bis 32 Jahren. Sie stammt aus Freising. Sie hat Betriebswirtschaft studiert, bei Siemens eine Stammhauslehre gemacht, zur Industriekauffrau, und dann bei Siemens gearbeitet.

 

Dann ist es passiert: Tödlicher Autounfall im Freundeskreis: Die Erkenntnis, dass das Leben zu kurz ist, um seine Träume nur zu träumen. Sonja Welter hatte genug Mut, den künstlerischen Weg zu gehen. Sie beschloss, ganz auf das Genre Musical zu setzen und darauf ihr Leben zu bauen, damit ihren Lebensunterhalt zu bestreiten. Sie hatte Erspartes. Ihre Eltern haben sie unterstützt. 2003 schloss sie eine gediegene Musical-Ausbildung mit einem Diplom ab. Sie absolvierte in dieser Zeit zusätzlich eine dreijährige Schauspielausbildung und eine mehrjährige Gesangausbildung - und Jahre zuvor schon in der Heinz-Bosl-Stiftung eine vierjährige Ballettausbildung.

 

Das merkt man heute auf der Bühne: Frau Welter spielt in der schon legendär gewordenen und immer noch laufenden Watzmann-Inszenierung im Schwabinger Lustspielhaus zurzeit die meistbeschäftigte der drei Mägde, die „gute Magd“. Wenn alle drei Mägde sich in Positur begeben und die eine Hand tänzerisch hoch heben, dann ist Sonja Welter die einzige, die das sichtlich im Ballett gelernt hat, die das gleichzeitig so theatralisch und graziös wie möglich macht, halt so, wie’s g’hört!

 

Frau Welter dreht nun auch für Film und Fernsehen. Sie hat mittlerweile eine feste Rolle bei der Kindersendung Tabaluga. Hier kommt unser heutiges Thema wieder dran: Tabaluga, heute vom ZDF produziert, beinhaltet neben dem Schauspielteil auch Gesang und Tanz; es verknüpft Bühne und Fernsehen. Tabaluga fing ja ursprünglich als Musical an, bevor es dann vor zehn Jahren fürs Kinderfernsehen adaptiert wurde. Wir erleben’s mit: Die Grenzen verwischen beim Musical. Das kann man bereits an Musikfilmen aus den 60igern miterleben: z. B. mit Peter Krauss und anderen.

 

Sonja Welter spielt auch Alt-Saxophon. Sie wird uns auch davon eine Kostprobe schenken. Normalerweise und regelmäßig ist sie Mitglied im Saxophon-Quartett „HotSaxClub“.

 

Und sie wird zwischen den Stücken und in einer Abschluss-Gesprächsrunde gerne auch Fragen aus unseren Reihen beantworten.

 

Frau Welter, was hören wir als Nächstes?

 

 

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